Dresden – Das Urteil klingt vernichtend: «Alle denken, wir haben eine Armee. Die ist aber nicht einsatzfähig», sagt Gunter Niemtschke. Der Chef des Unternehmens MWK Defence mit Sitz im sächsischen Königswartha hat den Zustand der Truppe schon vor Jahren analysiert und enormen Nachholbedarf festgestellt. Seit langem steht er mit seinem 100-Mann-Betrieb Gewehr bei Fuß. Doch von der Bundeswehr fühlt er sich bislang weitgehend ignoriert – trotz Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für das Militär.
«Hier ist Potenzial, hier ist Know-how vorhanden.»
Dabei sieht Niemtschke seine Firma in der Lage, den Kampf um Aufträge nicht nur defensiv zu führen. «Als Sondermaschinenbauer können wir vieles. Wir könnten auch Raketenwerfer bauen.» Die Kompetenzen seien da, man habe die Fertigkeiten, eine breite Palette zu bedienen. «Hier ist Potenzial, hier ist Know-how vorhanden.» Doch bisher muss sich MWK eher mit kleinen Brötchen begnügen – etwa mit der Instandsetzung von Schwingarmen für den Kampfpanzer Leopard 2.
Vor allem das Beschaffungswesen der Bundeswehr macht Niemtschke zu schaffen. Während Aufträge aus anderen Ländern binnen kurzer Zeit erteilt würden, ziehe sich das Prozedere in Deutschland hin. «In Norwegen verhandle ich direkt mit der Armee. Dann bekomme ich den Auftrag nach spätestens drei Monaten erteilt.» In Polen dauere es manchmal nur 14 Tage. Hierzulande gehe man bei Aufträgen dagegen bisher «relativ leer» aus. Aus dem Sondervermögen habe er noch keinen Cent gesehen.
Panter: Die Milliarden-Ausgaben müssen auch im Osten aufschlagen
Die Befürchtung, dass der Osten bei Aufträgen aus dem üppigen Sondervermögen leer ausgeht, treibt auch den sächsischen Wirtschaftsminister Dirk Panter um. Der SPD-Politiker nimmt sich einen ganzen Tag Zeit, um sächsische Unternehmen mit einem Anteil an militärischer Produktion zu besuchen und ein Stimmungsbild einzuholen. «Wir brauchen die Verteidigungsindustrie. Die Milliarden, die der Bund ausgibt, müssen auch im Osten aufschlagen», sagt der Minister.
Die Frage lautet nur: Wie? Panter weiß, dass die Bundeswehr mit Blick auf die historische Entwicklung ihre Lieferanten vor allem im Westteil des Landes hat. «Bei der Vergabe kommt man hier nicht mehr rein. Der Westen ist eine geschlossene Gesellschaft», formuliert es der sächsische CDU-Politiker Marko Schiemann. Westdeutsche Firmen würden den ostdeutschen Anbietern keinen Zugang zum Markt gewähren. «Keine Chance.» Deshalb sei es wichtig, gleiche Bedingungen immer wieder einzufordern.
«Wir brauchen nur die Krümel vom Kuchen.»
Der Wirtschaftsminister ist sich mit den Unternehmen einig: «Sachsen will ein Stück vom Kuchen abbekommen», sagt er immer wieder. Bei der Firma PMG Precision Mechanics Group in Wilsdruff bei Dresden wäre man schon mit weniger zufrieden. «Wir brauchen nur die Krümel vom Kuchen», sagt der geschäftsführende Gesellschafter Torsten Freudenberg. Sein Unternehmen habe sich bei der Produktion von Metallteilen auf kleine und mittlere Serien konzentriert.
Freudenbergs Nischenproduktion gilt als klein, aber fein. Der Chef ist überzeugt, dass viele Produkte seiner Firma nicht so einfach nachgebaut werden können. Dafür seien die Teile einfach zu komplex. Etwa 15 Prozent der Produktion gehen in den militärischen Bereich, 75 Prozent in die Luftfahrtindustrie. Außer Boeing sind alle großen Unternehmen vertreten. Der Rest ist für Branchen wie den Motorsport bestimmt. Früher hat der Betrieb auch Teile für das US-amerikanische Patriot-Abwehrsystem geliefert.
Firmen planen Investitionen
Als Zulieferer kennt Freudenberg viele Endprodukte seiner Kunden gar nicht. In diesem Jahr peilt das Unternehmen mit 90 Mitarbeitern einen Umsatz von zehn Millionen Euro an. Jedes Jahr werden zehn bis 15 Prozent des Umsatzes in neue Maschinen und Anlagen investiert, verrät der Geschäftsführer. Demnächst ist eine größere Investition geplant: Für sieben Millionen Euro soll eine Halle mit einer Produktionsfläche von 4.000 Quadratmeter entstehen, weitere fünf bis sechs Millionen sollen in neue Maschinen fließen.
Eine Erweiterung ist auch bei der Spekon Sächsische Spezialkonfektion GmbH in Seifhennersdorf geplant. Sie produziert Fallschirme – auch für das Militär. Momentan wird an einem Auftrag für die Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate gearbeitet. Direktor Serdar Kaya gibt unumwunden zu, dass die Auftragslage seit dem Krieg in der Ukraine gestiegen ist. Aufgrund der Sicherheitslage habe sich der Defense-Markt verändert.
Umsatz seit Beginn des Ukraine-Krieges verdoppelt
Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Spekon mit seinen 40 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von etwa 2,5 Millionen Euro gemacht. Jetzt hat er sich auf vier bis fünf Millionen de facto verdoppelt. Das Unternehmen hat bislang schon in mehr als 50 Länder exportiert. «Die ganze Welt bestellt in Sachsen, aber nicht die Bundeswehr», sagt Kaya. Dennoch soll eine Investition von acht Millionen Euro die Kapazität um 30 Prozent erhöhen. Bislang produziert Spekon gut 1.000 Fallschirme pro Jahr – auch für zivile Zwecke.
Wirtschaftsminister Panter will die Strukturen der Vergabe von Aufträgen nun aufbrechen und zeigt sich zuversichtlich. «Wenn wir als ostdeutsches Bundesland zögern und ablehnen, werden diese Investitionen anderswo in Deutschland getätigt – und mit ihnen gehen neue Arbeitsplätze, Innovationen und industrielle Wertschöpfung verloren. Ich halte das für fahrlässig.» Bedenken gegenüber der Branche kann er nachvollziehen. Auch er wünsche sich keinen Krieg, keine Waffen, keine Panzer. «Aber das Leben funktioniert nicht nach Wünschen.» (dpa)