Di, 18.09.2018 , 16:38 Uhr

Iraker aus U-Haft entlassen

Chemnitz- Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat am Dienstag die Ergebnisse der Haftprüfungstermine bekannt gegeben.

1. Haftbefehl gegen den syrischen Beschuldigten

Im Ergebnis der heutigen Haftprüfungstermine wurde der Haftbefehl gegen den syrischen Tatverdächtigen aufrechterhalten. Die Umstände, die den Erlass eines Haftbefehls wegen gemeinschaftlichen Totschlags begründeten, haben sich im Lauf der Ermittlungen gegen ihn noch weiter verdichtet.
Zeugen haben diesen Beschuldigten als einen derjenigen erkannt, der ein Messer mit sich führte.

2. Haftbefehl gegen den irakischen Beschuldigten

Den Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen Totschlags gegen den irakischen Tatverdächtigen hat das Amtsgericht Chemnitz heute auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Mehrere Indizien hatten zunächst in ihrer Gesamtschau den dringenden Tatverdacht des gemeinschaftlichen Totschlags begründet. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hatte deswegen der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Chemnitz, den Haftbefehl erlassen. So hatten einige der Tatzeugen angegeben, dass unabhängig voneinander zwei Personen zugestochen hatten.

Die beiden Beschuldigten sind nach der Auseinandersetzung gemeinsam geflüchtet und wurden unweit vom Tatort festgenommen. Auch wurde mit Hilfe eines Fährtenhundes ein Messer zwischen Tatort und Ort der Festnahme aufgefunden. Es lag daher die Vermutung nahe, dass die beiden Tatverdächtigen das Messer auf ihrer Flucht weggeworfen hatten. Bei dem aufgefundenen Messer, bei dem es sich zweifelsfrei um eines der Tatwerkzeuge handelt, wurden nach intensiver Untersuchung keine DNA-Spuren des beschuldigten Irakers festgestellt. Allerdings muss ein zweites Messer benutzt worden sein. Dieses konnte trotz intensiver Suche bislang nicht aufgefunden werden.

Im Ergebnis der heutigen Haftprüfung, in der die Beschuldigten nochmals vernommen wurden und nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen kann von einem dringenden Tatverdacht für ein Tötungsdelikt gegen den irakischen Beschuldigten derzeit nicht weiter ausgegangen werden. Der irakische Beschuldigte bestreitet die Tat. Es gibt keine Zeugen, die gesehen haben, dass er mit einem Messer zugestochen hat. Weiterhin konnten objektive Spuren zu seiner Beteiligung an einem Tötungsdelikt bislang nicht festgestellt werden. Auch die heutige Anhörung der Beschuldigten im Haftprüfungstermin führte zu keinem weiteren Ergebnis.

Der Haftbefehl musste deswegen aufgehoben werden. Die Ermittlungen zur Beteiligung des irakischen Beschuldigten an der tätlichen Auseinandersetzung, bei der neben dem getöteten Opfer auch zwei weitere Personen verletzt wurden, werden jedoch intensiv fortgesetzt. Der irakische Beschuldigte wurde nach dem Haftprüfungstermin aus der Untersuchungshaft entlassen. Zu seinem derzeitigen Aufenthaltsort kann ich keine Angaben machen. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen geht die Staatsanwaltschaft Chemnitz davon aus, dass an dem Tötungsdelikt der in Haft befindliche syrische Beschuldigte und ein weiterer flüchtiger irakischer Tatverdächtiger beteiligt waren. Nach Letzterem wird weiter mit Hochdruck gefahndet.

Quelle: Staatsanwaltschaft Chemnitz 

Statement der Staatsanwaltschaft Chemnitz 

Statement des Strafverteidigers

Strafverteidiger Ulrich Dost-Roxin hat in einer Presseerklärung die Haftaufhebung seines Mandanten wie folgt begründet:

Haftbefehlsaufhebung mangels Tatverdacht

Im Rechtssataat dürfen Unschuldige nicht verfolgt werden-dieser Grundsatz ist weder politisch noch auf andere Weise zu relativieren, und er gilt auch in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Situation. Noch immer geht es um das Tötungsdelikt an Daniel H. in Chemnitz, infolge dessen mein Mandant Yousif A. bis zum heutigen Tag rechtswidrig in Untersuchungshaft festgehalten wurde. Über den Fall berichtete ich bereits. Die heute erfolgte Haftbefehlsaufhebung war überfällig. Seit über drei Wochen musste mein Mandant Yousif A. ohne jeden Tatverdacht in Untersuchungshaft verbringen.

Freiheitsberaubung statt rechtmäßige Untersuchungshaft

Am 26. August 2018 wurde Yousif A. etwa 1 1/2 km vom Tatort entfernt kurze Zeit nach der Tötungshandlung festgenommen. Er bestritt gegenüber der Polizei eine Tatbeteiligung. Als der Staatsanwalt einen Tag nach der Festnahme einen Haftbefehlsantrag fertigte, hatte er gegen Yousif A. nichts in der Hand. Dass er einer der Mittäter gewesen sein könnte, die Daniel H. niederstachen, war ein Phantasiegebilde der Staatsanwaltschaft. Kein Tatzeuge bezichtigte meinen Mandanten der Tatbeteiligung. Zeugen konnten ihn auf Lichtbildern nicht identifizieren. Die Polizei fand ein Messer mit Blutanhaftungen der Opfer. Aber Fingerabdrücke meines Mandanten befanden sich daran nicht. Es gab einfach nichts. Die im Haftbefehlsantrag vom Staatsanwalt benannten Beweise waren Fake-Beweise. Sie enthielten alles mögliche, aber eben nicht die geringsten Hinweise auf eine Mittäterschaft.

Tatverdacht gegen Beamte der Staatsanwaltschaft Chemnitz

Bei dem Vorgehen des Staatsanwalts gegen Yousif A. dessen Haft zu beantragen, stellt sich angesichts der fehlenden Beweismittel nicht die Frage, ob er sich nur täuschte. Hier drängt sich förmlich der Verdacht auf, dass er willentlich meinen Mandanten rechtsbeugend der Freiheit berauben wollte. Die Frage, ob er sich alleine dazu entschloss, kann von hier derzeit noch nicht beantwortet werden. Dass er dazu von dem ihm vorgesetzten Oberstaatsanwalt, Behördenleiter oder von der Sächsischen Generalstaatsanwaltschaft angewiesen wurde, ist jedenfalls eine naheliegende Überlegung und Recherchen wert.

Tatverdacht gegen Richter des Amtsgerichts Chemnitz

Das Amtsgericht Chemnitz erließ den Haftbefehl noch am Tag der Antragstellung und steckte Yousif A. in Untersuchungshaft. Das Handeln des Untersuchungsrichters war zweifellos rechtswidrig. Denn dass die „Beweise“ den Charakter von Fake-Beweisen hatten, lag augenscheinlich auf der Hand. Bei der Frage, wie der Richter seine Haftentscheidung traf, kommen alternativ nur zwei naheliegende Varianten in Betracht:

  1. Dem Richter wurden die im Haftbefehlsantrag benannten „Beweise“ vorgelegt. Dann aber hat er sie gesehen, auch als Fake-Beweise erkannt und folglich wider besseres Wissen den Haftbefehl erlassen.
  2. Dem Richter wurden die „Beweise“ von der Staatsanwaltschaft nicht vorgelegt bzw. vorgelegte „Beweise“ wurden gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Dann aber erließ er den Haftbefehl in blindem Gehorsam gegenüber dem Staatsanwalt ohne eigene Prüfung der Beweismittel und somit unter Verletzung seiner Amtspflichten.

Welche der beiden Alternativvarianten zutrifft kann dahingestellt bleiben. Im Ergebnis läuft auch das auf den Verdacht rechtsbeugenden Verhaltens hinaus, meinen Mandanten der Freiheit berauben zu wollen.

Missachtung von Rechtsstaatsprinzipien im Fall Yousif A.

Das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) wurde missachtet, wonach sich die rechtsprechende und vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz zu halten hat, sich aber nicht daran hielt.

Das Grundrecht meines Mandanten auf Freiheit seiner Person (Art. 2 GG) wurde verletzt, indem er eingesperrt wurde.

Die Würde seiner Person gem. Art. 1 GG wurde förmlich mit Füßen getreten, in dem er vom Generalstaatsanwalt, von Regierungsvertretern, wie dem Ministerpräsidenten von Sachsen, öffentlich gegenüber den Medien als „Tatverdächtiger“ bezeichnet wurde, obwohl es keinen Tatverdacht gab und gibt. Diese Diktion wurde auch auf der Bundesebene übernommen und im Bundestag verkündet. Den Grundsatz der Unschuldsvermutung wurde von vielen Politikern im Falle meines Mandanten missachtet.

Der Strafregisterauszug meines Mandanten kursierte durch die öffentlichen Debatten, als ob es die Unschuldsvermutung nicht geben würde.

Mindestens ein Mitarbeiter des sächsischen Strafvollzugs verbreitete den Haftbefehl im Internet und steht nun unter dem Verdacht, sich gem. § 353d StGB strafbar gemacht zu haben. Die Justiz in Sachsen ist auch dadurch in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert.

Die Datenschutzbestimmungen wurden verletzt, weil durch die Veröffentlichung des Haftbefehls der Name und die Wohnanschrift meines Mandanten bekannt wurden. Folge dessen war, dass in den „sozialen Medien“ Fotos von Yousif A. mit verunglimpfenden Texten versehen und gepostet wurden.

Verfassungsschützer Maaßen maßte sich an, von Mord in Chemnitz zu sprechen und verunglimpfte so auch meinen ohne Tatverdacht im Gefängnis sitzenden Mandanten, ein Verbrecher zu sein.

Das Seehofer-Ministerium in Berlin veröffentlichte in einer Pressemitteilung aus einem laufenden Asylverfahren meines Mandanten Informationen.

Mein Mandant wurde zum Spielball der Politik. Denn die Messerattacke gegen Daniel H. und somit mein Mandant als Asylbewerber mit irakischer Staatsbürgerschaft wurden auch von den sächsischen Regierungsparteien instrumentalisiert.

Unzureichende Unrechtsbeseitigung durch Haftbefehlsaufhebung

Die gesetzwidrige Anordnung und Vollstreckung der Untersuchungshaft hatte also verheerende Folgen für meinen Mandanten. Durch die Haftbefehlsaufhebung ist das Yousif A. widerfahrene Unrecht nicht gesühnt. Rechtliche Schritte zur Sühne des erlittenen Unrechts, auch gegen verantwortliche Beamte in der Justiz, gegen Regierungsmitglieder in Sachsen und im Bund, werden geprüft.

Quelle: Rechtsanwalt Ulrich Dost-Roxin

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