Chemnitz- In Chemnitz starten die Kunstsammlungen mit einer Ausstellung über den visionären Designer und Architekten Henry van de Velde in das Kulturhauptstadtjahr. Seine Ideen und Werke prägten nicht nur den Bauhausstil, sondern beeinflussten auch die Reformkunstbewegung seiner Zeit.
Die zukünftige Kulturhauptstadt trägt diverse Spitznamen: "Tor zum Erzgebirge", "Stadt mit drei O" oder eben "Rußchamtz". Der spöttische Beiname spielt auf die Zeiten an, in denen Chemnitz als "Deutsches Manchester" bekannt war und Schornsteine wie ein gemauerter Wald das Stadtbild prägten. Noch heute schneidet Chemnitz im Vergleich mit den beiden anderen sächsischen Großstädten eher mittelmäßig ab. Manifestiert wird dies auch in einem bekannten Städtevergleich: „In Chemnitz wird gearbeitet, in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst“, spöttelten die Sachsen damals wie heute.
Was in solchen Vergleichen oft untergeht, ist die kulturelle Seite der Stadt am steinigen Fluss. Die erste Schau der Kunstsammlungen für das Kulturhauptstadtjahr 2025 lässt diese nun aufleben. Die Ausstellung widmet sich Henry van de Velde. Der Vorreiter des Produktdesigns prägte nicht nur den Bauhausstil entscheidend mit, sondern hinterließ auch im Chemnitzer Stadtbild seine Spuren.
Die Ausstellung folgt dem Leben des sogenannten Multigenies, vor allem durch Möbel, Fotos und Textilien. Sein Wirken erschließt sich jedoch nicht allein aus den ausgestellten Objekten. Van de Velde galt als zentrale Figur der damaligen Reformbewegung. Neben effizienter Gestaltung wurden damals auch Fragen nach einem gerechteren und lebenswerteren Leben aufgeworfen. Wenn sich die Besucher auf diese Gedanken einlassen, können sie laut Kuratorin Anika Reineke auch etwas über das Hier und Jetzt lernen. Aus ihrer Sicht musste sich Van de Velde in leicht abgewandelter Form denselben Fragen stellen wie heutige Reformer.
Wichtiger als die Antworten auf diese Fragen ist für Anika Reineke allerdings Van de Veldes Herangehensweise. Der Architekt galt früh als Meister seines Fachs, blieb jedoch bis an sein Lebensende offen für Weiterentwicklungen und neue Ideen – auch von jüngeren Generationen.
Die Ausstellung verbindet so Vergangenheit mit Gegenwart und regt quasi nebenbei zum Nachdenken an. Besucher sollten allerdings etwas Zeit mitbringen, denn die Schau erstreckt sich über zwei Orte: die Villa Esche und die Kunstsammlungen am Theaterplatz. Viel Platz also, der wohl nötig ist, um die europäischen Dimensionen der Reformkunstbewegung den Besuchern zugänglich zu machen.