Ich nenne mich gerne Beraterin für Lebensfreude und sexuellen Genuss
– so stellt sich Lydia vor. Ein Titel, den sie sich selbst gegeben hat, der aber viel über ihre Haltung und ihren Beruf aussagt. Lydia ist seit über 20 Jahren in der Sexarbeit tätig. Ihre Erfahrungen reichen von ersten Begegnungen in Begleitagenturen bis hin zu politischem Aktivismus und wissenschaftlicher Forschung.
Im Rahmen der Aktionswoche „Huren im Hause des Herrn“, die anlässlich des 50. Internationalen Hurentags in der Leipziger Peterskirche stattfand, hat sie zwei Vorträge gehalten und sich im Interview Zeit genommen, über ihren Beruf, ihre Haltung und ihre Erfahrungen zu sprechen.
Lydia erzählt von ihrem Arbeitsalltag – und der hat wenig mit den gängigen Klischees zu tun. „Mir wird viel anvertraut“, sagt sie. „Oft erzählen mir Kunden Dinge, die sie sonst niemandem sagen.“ Ihre Arbeit ist auch Zuhören, Fragen stellen, manchmal Beziehungsberatung. Die Begegnungen seien oft mental sehr nah – Gespräche über Partnerschaft, über sexuelle Unsicherheiten, über unerfüllte Wünsche.
Für Lydia ist Sexarbeit eine selbstbestimmte, erfüllende Tätigkeit.
„Ich will nichts anderes mehr machen“,
betont sie. Auch wenn der Einstieg damals aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus erfolgte – geblieben ist sie aus Überzeugung. Heute ist sie eine der sichtbarsten Stimmen im Dialog um die Entstigmatisierung von Sexarbeit.
Doch Lydia ist nicht nur Dienstleisterin – sie hat auch wissenschaftlich gearbeitet. Als Peer-Forscherin war sie Teil einer groß angelegten qualitativen Studie der Deutschen Aidshilfe, finanziert vom Bundesgesundheitsministerium. Ziel war es, die gesundheitlichen Bedarfe von Sexarbeiter*innen besser zu verstehen.
Das Besondere: Die Studie wurde mit Sexarbeitenden durchgeführt, nicht nur über sie. So entstand Vertrauen – und dadurch ehrliche, lebensnahe Erkenntnisse.
Die zentrale Erkenntnis der Studie? Das größte gesundheitliche Risiko für Sexarbeitende sei Stigma, sagt Lydia. Gewaltandrohungen, Diskriminierung, psychischer Stress – viele Teilnehmende berichteten von Erfahrungen, die sie krank machen.
Und viele wagen es nicht, offen mit Ärzt*innen oder im privaten Umfeld über ihren Beruf zu sprechen.
Am 2. Juni wurde der 50. Internationale Hurentag begangen – ein Gedenktag, der an die Besetzung der Kirche Saint-Nizier in Lyon 1975 erinnert. Für Lydia ist dieser Tag sowohl ein politisches Zeichen als auch ein emotionaler Moment:
„Das ist unser Feiertag. Wir erinnern daran, dass wir Menschen sind wie alle anderen – mit Würde, mit Rechten, mit Geschichten.“
Dass die Aktionswoche in einer Kirche stattfand, empfindet sie als starkes Zeichen:
„Ich selbst bin nicht religiös, aber ich finde es schön, dass uns hier mit Respekt begegnet wird.“ Das Bild von „Hure oder Heilige“
– tief verankert im kulturellen Gedächtnis – wird so durch reale Begegnungen aufgebrochen.
Auch wenn Lydia Veränderungen spürt – etwa durch jüngere Generationen, die offener mit dem Thema umgehen –, bleibt das Stigma bestehen. Gerade in offiziellen oder familiären Kontexten überlegen viele immer noch, was sie sagen dürfen. Und genau das sei das Problem.
Deshalb setzt sich Lydia weiter ein – als Rednerin, Forscherin und Gesprächspartnerin. Ihre Botschaft: Sexarbeit ist Arbeit. Menschen in der Sexarbeit verdienen Respekt, Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung.