Do, 05.09.2019 , 15:56 Uhr

Tille, TV, So&So: Sind Wohnen und Kultur unvereinbar?

Leipzig - Wohnraum und Kultur - Funktioniert das nebeneinander? Die Investoren sagen: nein. Doch die Clubbesitzer sind anderer Meinung. Und so schreitet das Clubsterben in der Messestadt voran. So&So, TV-Club und Distillery sind bedroht, aber arbeiten an Alternativen.

Beispiel 1: Distillery

1992 gründete Steffen Kache mit Freunden auf dem Gelände einer alten Brauerei in Connewitz die Distillery. Nach 2,5 illegalen Jahren dort zogen sie 1995 in den heutigen Standort in der Kurt-Eisner-Straße in der Südvorstadt - diesmal mit Mietvertrag. Der Club etablierte sich schnell und war Ende der 1990er Jahre international bekannt, sodass Künstler aus der ganzen Welt auf seine Bühne geholt werden konnten. Seit 24 Jahren wird hier also bereits gefeiert. Teilweise ist die dritte oder vierte Generation hier im Club unterwegs, wie Chef Steffen erklärt.

2021 endet der Mietvertrag des Kultclubs

Auf dem Areal im Süden, wo auch die Distillery beheimatet ist, soll ein neuer Stadtteil entstehen. Daher läuft der aktuelle Mietvertrag des Kultclubs noch bis August 2021. Am Ende des Jahren sollen die Baumaßnahmen dann beginnen. Was passiert dann mit der "Tille"? "Wohnen und Clubs werden oft als konträr betrachtet. Deswegen ist es leider so, dass wir unsere Ansprüche und Forderungen, dass wir hier bleiben können, nicht umsetzen konnten. Unserer Meinung nach wäre es möglich gewesen, Wohnen und Clubs zusammen zu entwickeln. Es bestand aber da einfach nicht der Wille seitens des Investors", erklärt Steffen Kache.

Wie geht es weiter?

"Wir haben eine Lösung, wir haben auch ein neues Objekt. Das ist noch nicht 100-prozentig sicher. Wenn das funktioniert, hätten wir eine Option, die ein riesengroßer Aufwand wäre, eine Location umzubauen, entsprechende Genehmigungen einzuholen, usw. Um das Weiterbestehen des Clubs sicherzustellen, werden wir verdammt wir Geld in die Hand nehmen müssen. Aber wir haben nach wie vor Lust und es ist ein wichtiger Teil der Leipziger Kultur", wie Steffen Kache bestätigt.

 

Beispiel 2: TV-Club

Ähnlich geht es dem TV-Club. 1970 wurde der Club als Verein der Veterinärmediziner gegründet und wird von Studenten geleitet. Er befand sich zunächst in der Johannisallee. Wegen des Lärms musste er allerdings im Jahr 2000 umziehen und fand mit dem ehemaligen Freiladebahnhof im Norden eine provisorische Übergangslösung, die bis heute anhält.

Das Besondere hierbei? Der Freisitz mit Biergarten, wie Lena Rath vom Vorstand des TV-Clubs erklärt:

"Der Freisitz ist unser größter Vorteil gegenüber anderen Clubs. Ganz viele haben nur kleine Bänke, die halb auf der Straße stehen oder die Leute sind direkt auf der Straße, wenn sie rauskommen. Das ist bei uns nicht so, deswegen möchten wir den Freisitz behalten".

TV-Club muss "Leipzig 416" weichen

Allerdings muss auch der TV-Club umziehen. Grund dafür ist das Projekt "Leipzig 416", das einen neuen Stadtteil mit u.a. 2.100 Wohnungen vorsieht. Die beiden Clubs auf dem Gelände, der TV-Club und das So&So, wurden dabei nicht mit eingeplant. Klar ist für den TV-Club nur: Bis Ende diesen Jahres darf er bleiben. Hintergrund ist, dass der Lokschuppen, in dem sich der Club befindet, denkmalgeschützt ist und bislang nicht abgerissen werden darf. Wie lange er allerdings noch hier drin bleiben darf, das wissen die Betreiber nicht. Da immer klar war, dass sie hier nicht für immer bleiben können, suchen die Betreiber seit 2017 nach einem neuen Standort. "Wir arbeiten an Alternativen und hoffen, dass wir innerhalb des nächsten Jahres umziehen können", erklärt Lena Rath vom Vorstand des TV-Clubs.

Beispiel 3: So&So

Etwa zweieinhalb Jahre gab es hier mit dem So&So ein Kulturzentrum. Neben zahlreichen kulturellen Veranstaltungen gab es auch eine Musikschule. 2016 wurde die Einrichtung von Johannes Reis und Freunden eröffnet. Doch bereits kurz nach der Eröffnung wurde das Gelände an die CG-Gruppe verkauft. Diese plante jedoch nicht mit dem So&So. Die Begründung: Der Wohnraum, der hier im Zuge des Projekts "Leipzig 416" geschaffen werden soll, sei nicht mit dem Kulturzentrum vereinbar. Daher wurde das So&So Anfang 2019 abgerissen.

Diese Entscheidung kann Johannes Reis nicht verstehen: "Am Ende läuft es doch immer wieder darauf hinaus, dass Wohnen und Kultur nicht vereinbar seien sollen, obwohl wir da anderer Meinung sind und obwohl die CG-Gruppe in Köln auch zeigt, dass es anders gehen kann. Also selbst die CG-Gruppe hat in Köln bei einem Bauprojekt eine Lösung gefunden, wo ein Club Hauswand an Hauswand zu neu entstehenden Wohnungen erhalten wird. Dort bauen sie einfach eine große Lärmschutzwand dazwischen."

Die Zukunft der drei Clubs

"Kultur und Wohnen zu vereinen, ist an vielen Stellen, vor allem wenn neu gebaut wird, momentan mit der rechtlichen Lage unmöglich. Deswegen ist es umso wichtiger, schon bestehende Gebäude zu erhalten, weil die dann Bestandsschutz genießen. Mit dem Verschwinden des So&Sos dort ist eine kulturelle Nutzung, zumindest in der Nacht, für immer und ewig verloren gegangen. Deswegen ist es so wichtig, die Clubs zu erhalten, denn ansonsten erleben wir die Clubs irgendwann nur noch am Stadtrand", erklärt Johannes Reis.

Aktuellen Medienberichten zufolge werden der TV-Club und die Distillery in Zukunft an einen gemeinsamen Standort im Süden ziehen. Auch die Idee des So&So soll an einem neuen Platz weitergeführt werden. Vielleicht sind das zwei Hoffnungsschimmer für die Clubsszene der Messestadt.

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